2023
VOM FLIEGEN UND FALLEN
Galerie Marek Kralewski, Freiburg
Einführung Marek Kralewski
Vom Fliegen und Fallen. Wie wir alle wissen ist das Fliegen mit nicht unerheblichen Gefahren verbunden. Aus der griechischen Mythologie kennen wir die Geschichte von Dädalus und Ikarus, die sich mit selbst gebauten Flügeln auf die Flucht aus dem Labyrinth des Minotaurus machen. Dädalus Sohn Ikarus ignoriert die Warnung seines Vaters, der Sonne nicht zu nah zu kommen, wird übermütig und stürzt ab als die Sonne das Wachs seiner Flügel schmelzen lässt. Er fällt ins Meer und stirbt.
Doch nicht nur aus Mythen ist uns der Zusammenhang zwischen dem Fliegen und dem Fallen bekannt, sondern wahrscheinlich jedem Einzelnen auch aus dem Alltag. Hat man sich zuletzt noch federleicht auf der Höhe befunden kann das eine bestimmte Ereignis alles aus der Bahn werfen und den Fall einleiten. Dann wünscht man sich sanft und abgefedert auf einer weichen Matratze zu landen.
Ich kann nur soviel verraten: Pauls Abgüsse von Matratzen eignen sich nicht dazu.
Alle hier versammelten Arbeiten sind aus Beton gefertigt und changieren zwischen Leichtigkeit und Schwere, Weichheit und Härte. Zum Teil ist es die Kombination durch das noch in Teilen auf den Kunstwerken stehen gelassene ursprüngliche Material, zum anderen die Form, die Farbe oder die Struktur der Oberfläche.
Die "Skulpturen" auf dem Boden könnten tatsächlich für Bruchstücke aus Styropor gehalten werden, doch bei näherem Hinsehen fällt auf, dass sich manche der Stücke gleichen und identische Bruchkanten haben. Spätestens wenn man sie in die Hand nehmen würde wäre es offensichtlich: Es sind Fakes. Also nicht wirklich Fake, sondern eher Kunst. Kunst, die sich löst und selbständig macht von dem Gegenstand seiner Darstellung.
Doch vielleicht ist es auch die Arbeit "Andenken", die in dieser Ausstellung die konsequenteste Position einnimmt. Es ist eine sehr persönliche Sammlung von Stücken, die Paul in seinem Atelier über einen langen Zeitraum gesammelt hat und hier zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Jedes einzelne der präsentierten Erinnerungsstücke ist mit einem Andenken verbunden, die nur Paul kennt.
2022
Den Zufall als Partner.
Julia Galandi-Pascual
Wie entsteht die Form? Nicht ausschließlich, aber wohl auch weil Paul Ahl ursprünglich ausgebildeter Steinmetz ist, erscheint diese Frage zentraler Ausgangspunkt in seinem künstlerischen Werk als Bildhauer. Der Zufall spielt im Entstehungsprozess bereits in den frühen Arbeiten aus Lehm und Ton genauso eine Rolle wie in den seit 2017 produzierten Arbeiten aus Beton. Während sich erstere seiner Kontrolle noch während des Trocknens und vor allem Brennens entzogen hatten, erscheint das Unerwartete bei den jüngeren Arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen maßgeblich sowohl für die Formfindung, ihre Erscheinung und schließlich auch für deren Wahrnehmung bedeutungsvoll.
Gleich zu Beginn stellt sich daher auch die Frage, wer eigentlich wen findet: Der Künstler die Form oder die Form den Künstler? So mag man durchaus spekulieren, wenn man erfährt, dass Paul Ahl in der Regel zufällig vorgefundene Umverpackungen zur Formfindung nutzt: Es sind Hüllen, ursprünglich zum Schutz oder der besseren Handhabung von Produkten und Waren vorgesehen, die zu diesem Zeitpunkt aber nur noch Überreste der Konsumkultur darstellen. Die im wahrsten Sinne entleerten Formen, die offenbar auf Abwesendes verweisen, fallen Paul Ahl so unmittelbar ins Auge, dass er – wie er selbst einräumt – in dem Augenblick gar keine Wahl habe, als jene eigentlich entsorgten plastischen Gestalten an sich zu nehmen. Während viele Produkte, selbst Lebensmittel, nur dank einer geeigneten Schutzverpackung überhaupt erst in normierten Ablaufprozessen von Logistik und Handel vertrieben werden können, setzt Paul Ahl jene Packmittel nun als Gussformen auf eine im wahrsten Sinne einzigartige Art ein. Ob aus Kunststoff, Kartonage, Folie oder Styropor: Für die fortlaufende Werkreihe „Umverpackungen“ ist nur ein Guss pro Verpackungsform möglich, die sich währenddessen entweder selbst auflöst oder zerstört werden muss, um die darin gegossene Form freilegen zu können. In den Arbeiten der jüngeren Serie „Dispersion“ können die Ausgangsmaterialien, wie Schaumstoff oder Karton dagegen als Träger der Betonmasse erhalten bleiben.
Waren es früher noch Nutzgegenstände selbst, die auf Ton bewusst ausgelegt reliefartige Abdrücke hinterlassen hatten, entstehen nun die plastischen Arbeiten durch die Füllung bereits existierender, zufällig vorgefundener Formen. Ein vorgegebener Negativraum wird zum Protagonisten im Entstehungsprozess einer möglichen positiven Form. Geradezu selbstverständlich erscheint es dann, dass der Kontrollverlust weiter gepflegt wird. Denn auch wenn Paul Ahl aufgrund von Erfahrungswerten mittlerweile zwar erahnen kann, wie sich die weiche Masse in den Gussformen ausdehnen oder welche Wirkung die Oberfläche entwickeln wird, bleibt trotzdem zu guter Letzt die Entwicklung fremd bestimmt: Einfluss können z.B. die charakteristische Beschaffenheit der Innenseiten der Gussformen oder der Beton selbst haben, der nach der Austrocknung mal geschlossen, mal offenporig, bisweilen aufgeraut erscheinen kann. Die grundsätzliche Bereitschaft des Zulassens ermöglicht hier reales Vorhandensein.
Während schon die gegossenen Formen eindeutige Rückschlüsse auf ursprünglich-funktionale Zusammenhänge erschweren, wird dieser Entfremdungseffekt zusätzlich durch den Einsatz von Farbe gesteigert. Pigmente, Lacke und Farben: Abgetönt, gemischt bis markant-kräftig, bisweilen sogar grell-neonfarben, prägen die Erscheinung der Arbeiten von Paul Ahl inzwischen maßgeblich mit. Dieser Farbrausch konterkariert aber nicht nur das formale, technisch-praktische Aussehen der dreidimensionalen Körper auf sinnliche Art und Weise, sondern entrückt sie endgültig aus funktionalen Notwendigkeiten und ist so Voraussetzung der Sehereignisse, die Paul Ahls Arbeiten darstellen.
Auch wenn die Entscheidungen für den ein oder anderen Farbton stets intuitiv vom Künstler gefällt werden, kommt auch hier wieder die bewusst fehlende Absicht ins Spiel. Denn viel hängt davon ab, wie Beton und Pigment miteinander reagieren: Sollte letzteres bei einer direkten Beimischung eigentlich absinken, kann es dann plötzlich doch vereinzelt hochkommen, so dass unkontrolliert selbstbestimmte Farbeinschüsse auf der späteren Oberfläche zu sehen sind. Auch wie sich direkt in die Verpackung gesprühte Farbe mit dem Gussmaterial verbindet, ist nicht exakt vorhersehbar, sondern führt zu eigenmächtigen Anmutungen, bei denen die Pigmente mal sich primär-vereinzelt, staubartig ablagern, mal in verkrusteten Flächen auf dem Trägermaterial sichtbar bleiben. In anderen Fällen sind Farbverläufe zu entdecken, die offensichtlich aus keinem erkennbaren Kompositionswillen entwickelt wurden und trotzdem niemals willkürlich, sondern zufällig-bestimmt erscheinen.
Eine besonders spannungsvolle Rückkoppelung mit der Alltagswelt erfahren Paul Ahls Plastiken schließlich, wenn sie nicht in einem White Cube-Ausstellungsraum präsentiert werden, sondern z.B. in gewerblich genutzten Räumen zwischen anderen, durchaus funktionalen Elementen wie einem Brandmelder, Lüftungsausgang oder Heizkörper montiert werden. Plötzlich muss man sich fragen, welcher Unterschied zwischen solchen Formen und denen besteht, die Paul Ahls Arbeiten sind? Ist es nicht reiner Zufall, was wir als zweckmäßige und was als ästhetische Gestalt wahrnehmen? Die anfänglich für Paul Ahls künstlerische Arbeit als zentral beschriebene Frage nach den Entstehungsbedingungen von Formen, muss daher um die Bedingungen ihrer Wahrnehmung erweitert werden. Während das eigenmächtige Zusammenspiel von Formen, Material und Farben in Paul Ahls Arbeiten bekannt und gleichzeitig fremd anmutet und zunächst vor allem unseren Sehsinn anregt, besteht ihre besondere Qualität letztlich aber darüber hinaus darin, dass sie unseren Blick auf das, was uns vielleicht absichtslos umgibt, auf das Nebensächliche, auf das Darunter und Dahinter oder auch auf das Dazwischen zu lenken vermögen - und das in keineswegs zufälliger Weise!
WECHSELWIRKUNG
GeorgScholzHaus, Kunstforum Waldkirch
Einführung Judith Neumann
Der 1983 in Heilbronn geborene Paul Ahl war nach seiner Ausbildung als Steinmetz und Steinbildhauer mehrere Jahre als Steinmetz tätig, bevor er sich 2010 für ein Studium der Bildhauerei an der Edith-Maryon-Kunstschule Freiburg entschied. Seit 2014 ist Paul Ahl freischaffender Bildhauer und kann auf einige Einzel- und Gemeinschaftsausstellungen zurückblicken.
Nun wäre es angesichts seiner Ausbildung als Steinmetz vielleicht naheliegend, dass Paul Ahl auch als Künstler mit Stein arbeitet. Doch, wie sie vielleicht schon festgestellt haben, ist dies nicht der Fall. Nach dem Grund gefragt sagt er, dass ihm Stein zu wenige Möglichkeiten der Bearbeitung böte. Zu hart, zu unflexibel, zu wenig veränderbar, lasse ihm dieses Material zu wenig Spielraum im Arbeitsprozess. Die Arbeit in Stein erfordert genaues Vorausplanen – der Bildhauer oder Steinmetz muss dabei ein klares Konzept dessen vor Augen haben, was er schaffen will. Genau dies ist es aber, was Paul Ahl nicht will! Er möchte als Künstler die Freiheit, im Schaffensprozess sich inspirieren zu lassen und die Möglichkeit, auf das zu reagieren, was beim Arbeiten entsteht.
Eher zufällig kam Paul Ahl auf der Suche nach dieser Freiheit zunächst zum Ton, der ihn als Werkmaterial in seiner Ausbildung nur wenig angesprochen hatte. Interessant wurde das Material für ihn, als er vom Regen verursachte Erosionen beobachtete. Mittels eines Hochdruckreinigers versuchte er, diesen natürlichen Prozess nachzubilden, indem er gefundene Objekte auf Tontafeln legte und sie auswusch. Beim Trocknen und Brennen platzen einzelne Partien ab, so dass nicht genau abschätzbar war, wie die Objekte am Ende aussehen würden.
Die Kombination aus bewusster Entscheidung, kontrollierter Bearbeitung und Einbeziehung des Zufalls bot und bietet Paul Ahl die Flexibilität im Arbeitsprozess.
Nachdem er einige Jahre intensiv mit Ton gearbeitet hatte, stieß der Künstler - auf der Suche nach Anregung in Form eines anderen Materials - auf den Beton, mit dem er bis heute bevorzugt arbeitet. Ein künstliches, günstiges Material, das als Bildhauer-Material relativ traditionslos und somit weniger „vorbelastet“ ist als die klassischen Bildhauermaterialien Stein, Holz, Ton und Bronze. Als Künstler, für den das Experimentieren mit Material und Form im Mittelpunkt seiner Arbeit steht, schätzt Paul Ahl auch die Vielseitigkeit des Betons. Dieser kann nicht nur seinen Zustand von flüssig nach hart verändern, sondern auch durch Zumischungen in seiner Struktur verändert werden: von grobkörnig und rau bis hin zu einer feinporigen, dichten Struktur mit glatter, fast samtiger Oberfläche. Der Beton kann roh und grau belassen werden oder aber - in den letzten Jahren zunehmend - durch die Zumischung von Farbe oder Pigmenten komplett durchfärbt, seltener auch farbig besprüht werden.
Damit bringt dieses Werkmaterial die perfekten Eigenschaften für die beiden hier präsentierten Werkgruppen mit: Umverpackungen und Dispersionen.
Ausgangspunkt für die Umverpackungen sind jeweils gefundene Gegenstände: achtlos entsorgte Verpackungsmaterialien, die Paul Ahl mit Beton ausgießt. Relativ flüssig verwendet, bildet der Beton Form und Struktur des ausgegossenen Gegenstandes perfekt ab, indem er in kleinste Ritzen und Poren fließ und dann aushärtet. Dabei kann das Material hart wirken wie Metall, glatt wie Kunststoff, leicht wie Styropor, porös wie Schaumstoff oder weich wie ein Fahrradschlauch. Nach dem Aushärten folgt die oft mühsame Arbeit, das ausgegossene Ausgangsobjekt vom Beton zu trennen. Sie können sich vorstellen, wie zeitintensiv dieser Arbeitsprozess bei Schaumstoff ist. Die Arbeit mit der Pinzette kann Stunden dauern! Erst wenn die Materialien voneinander getrennt sind, bekommt der Künstler erstmals die spätere Schauseite seiner Arbeit zu sehen – immer wieder eine Überraschung.
Mit seinen Umverpackungen führt uns Paul Ahl unsere Unaufmerksamkeit kleinen, vermeintlich wertlosen Dingen gegenüber vor Augen. Die von ihm als Wandreliefs geadelten Gegenstände wären uns vermutlich nicht einmal aufgefallen … und wenn doch, bestenfalls im Gelben Sack entsorgt worden. Erst durch die Arbeit des Künstlers fällt uns auf, dass der ausgegossene Gegenstand eine interessante Form hatte! Die Frage, aus welchem Material das Ausgangsobjekt war, welches seine Funktion war, müssen wir uns selbst beantworten – kein Titel deutet darauf hin.
Während bei den Umverpackungen die Form im Vordergrund steht, liegt das Interesse Paul Ahls bei der zweiten hier präsentierten Werkgruppe, den Dispersionen, auf der Oberfläche.
Diese Arbeiten erhalten ihre Spannung durch die unterschiedlichen Materialien, aus denen sie bestehen. Während bei den Umverpackungen das Ursprungsmaterial gänzlich entfernt wurde, sind bei den Dispersionen noch Reste davon erhalten; so steht zum Beispiel poröser, weicher Schaumstoff neben glattem, hartem Beton. Gerne würde man sich als BetrachterIn ganz der Erforschung der Formen und Strukturen hingeben und mit den Fingern die Haptik dieser Objekte erkunden. Man kann sich aber auch – ganz ohne Anfassen – an der Ästhetik von Form und Farbe des jeweiligen Objektes erfreuen.
Erklärungen, Erläuterungen und Einordnungen mögen hilfreich sein, das SELBST SEHEN ersetzen sie nicht! Die Hauptaufgabe liegt bei uns als den Betrachtenden. Wie oft sind wir versucht, Kunstwerke und Künstler in Schubladen zu stecken und vergessen, um was es wirklich bei der Kunstbetrachtung geht: Vorbehaltloses Sehen, sich auf die Werke einlassen, sie erspüren, immer wieder neu entdecken, sich auf die eigenen Sinne verlassen!
In diesem Sinne möchte ich Sie nun dazu einladen, sich mit offenen Augen und Sinnen den hier gezeigten Arbeiten hinzugeben. Nutzen Sie die Freiheit und die Interpretations-spielräume, die Ihnen diese Kunstwerke lassen!
Artikel
Annette Hoffmann - Schwellenräume, erschienen in der Badischen Zeitung, Mi. 7. September 2022
2021
SPANNUNGSFELD
Museum "Altes Rathaus" Leingarten
Josef Staudinger - Zwei, die sich ergänzen, erschienen in der Heilbronner Stimme Westausgabe, 23.11.2021.
2020
DIE TRAUMLANDE,
Galerie Marek Kralewski, Freiburg
Einführung Dr. Caroline Li-Li Yi
Die Oberfläche der beiden Basreliefs aus der Serie Dispersion lassen mich an einen abenteuerlichen Tauchgang denken. Leuchtende Auswüchse von Korallen und unwägbar geheimnisvolle Unterwasserhöhlen ziehen unsere Wahrnehmung hinab in die Tiefe.
Paul Ahl absolvierte eine Ausbildung zum Steinmetz, bevor er an der Edith Maryon Kunstschule Bildhauerei studierte. Neben den beiden aktuellen Wandarbeiten aus der Reihe Dispersion ergänzt die Arbeit Umverpackung 107 als kleine Premiere das Portfolio des Künstlers. Dieses flache, tonig, sandige Werk ist befreit vom Halt einer Wandfläche und tastet sich als Sockelarbeit in den Raum.
Paul Ahl erschließt sich in seinen Arbeiten die Form über das Material. Beton, ist das Mittel seiner Wahl, das er in Schaumstoff oder in Verpackungen gießt. Das Interesse des Künstlers gilt der Struktur der Dinge. Wie ein Forscher untersucht und zerlegt er die alltäglichen Substanzen und verwandelt sie in eine Materie, die uns fremdartig und doch vertraut erscheint. Aus sogenannten armen Materialien wie Schaumstoff und Beton schafft Paul Ahl anmutige Reliefs, die sich wie lebendige Strukturen die Wandflächen erschließen. Dabei transformiert der Künstler die luftig leichten, vergänglichen Textur des Schaums in beständige, gewichtige Formen aus Beton. Er lässt die Materialien aufeinander wirken und lässt zu, dass sie sich durchdringen. Durch Zugabe von Pigmenten entstehen Farben, die wie Mineralien von einem weit gereisten Himmelskörper aussehen.
Die Online-Vernissage zur Ausstellung mit Dr. Caroline Li-Li Yi auf youtube:
2019
Kunststein
Mojäk Galerie, Heilbronn
UMVERPACKUNG
Galerie Marek Kralewski, Freiburg
Einführung Marek Kralewski
Paul Ahl absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Steinmetz, bevor er sich entschloss ein Bildhauerstudium an der Edith-Marion-Kunstschule in Freiburg-Munzingen anzuschließen. Das war ein Ausdruck seines Freiheitswillens.
Zuerst sticht eine Arbeit hervor, die sich nicht so recht zu den anderen Arbeiten fügen will: "Ohne Titel 12" am Eingang. Wir haben uns dennoch entschlossen diese Arbeit zu zeigen, weil sie den Übergang erfahrbar macht. Sie stammt aus einer Serie bei der Paul Ahl gefundene Gegenstände mittels Auswaschung auf Ton- und Erdtafeln übertragen hat um sie anschließend im umgebauten Ofen zu brennen. Nur die Erhebungen und Vertiefungen erlauben uns das Dargestellte zu imaginieren und das Ergebnis könnte ein Ausschnitt aus einer archäologischen Grabung sein. Bei "Ohne Titel 12" sind die Umrisse von weggeworfenen Verpackungen, Dosen und ähnlichem zu sehen. Das was dort nur ein leichtes Relief hat, quasi ein Schatten seiner selbst, ist bei den anderen hier gezeigten Arbeiten das Gefäß aus dem das Kunstwerk entsteht.
Seit 2017 arbeitet Paul Ahl auch mit Beton, den er mit Pigmenten, Lacken und Farben mischt und kombiniert. Wie im vorderen Raum zu sehen, ist das Material Beton äußerst vielfältig. Je nach Material und Beschaffung der Umverpackung, je nach Zusammensetzung des Beton-Rezeptes und je nach Verarbeitung gelingt es Paul Ahl eine verblüffende Täuschung zu erzeugen, bei der die Eigenschaften von Form und Inhalt verschwimmen. So zeigt sich z.B. bei "Umverpackung 24" der Beton gleich der Sahne auf einem Kuchen oder dreckig-rostig wie bei "Umverpackung 25".
Aus diesen Farb- und Materialexperimenten heraus entdeckte Paul Ahl verstärkt die Form als Forschungsfeld. Der archäologische Impetus brachte eine Reihe von Arbeiten hervor deren Formen sehr eigensinnig und doch vertraut wirken und deren Alter nur schwer bestimmt werden kann. Diese Arbeiten scheinen eine merkwürdige Verwandtschaft zur Aztekischen Kunst und Architektur zu haben. Eine Arbeit gar, "Umverpackung 46", erinnert an die Venus von Willendorf. Das sind 30.000 Jahre Menschheitsgeschichte. Einzig die ab und an in den Werken sichtbaren arabischen Zahlen und lateinischen Buchstaben verraten uns, das der Ursprung industrieller Natur ist und es sich nicht um Götzenfiguren handelt. Oder doch?
Paul Ahls Verdienst besteht darin aus dem Alltäglichen das Besondere herauszuholen.
Paul Ahl - Umverpackung
In Ton gearbeitet hat, freilich als Bildhauer, bis vor nicht langer Zeit auch Paul Ahl. Heute ist das Material seiner Wandobjekte hauptsächlich Beton. Die wachsen in der Freiburger Galerie Marek Kralewski in fremdartig anmutenden Formen zart pastellfarben aus der Wand. "Umverpackung" – den Begriff, den der 1983 Geborene als Titel einer Werkserie und jetzt der Ausstellung mit neuen Arbeiten wählte, glaubte er ursprünglich selbst erfunden zu haben. Um irgendwann festzustellen, dass er die Fachbezeichnung für eine äußere Verpackung ist, in der eine bereits abgepackte Ware transportiert und zum Kauf angeboten wird.
Exakt solche Verpackungen nutzt Ahl als Gussform für seine Beton-Objekte. Das Innere ist in ihnen gleichsam nach außen gestülpt. Und was als Hülle für anderes diente, gewinnt eigene Fülle und Substanz – in der alchemistischen Verwandlung sogar bisweilen figürliche Anmutung wie diese zartviolettfarbene Form, die ans Antlitz eines Androiden denken lässt. Zwei rosa Formen erinnern dagegen an menschliche Torsi mit Arm- und Beinstümpfen.
Als "Dekonstruktion des Alltags" wurde Ahls Kunst etwas modisch etikettiert; das Gegenteil trifft zu. Ahls Interesse gilt der Ästhetik industrieller Gebrauchsformen, die er verfremdet, nur um ihre unbeachteten Formpotenziale hervor zu kitzeln. Wir sind ja umgeben von Dingen, über die wir achtlos hinweggehen. Paul Ahl sieht genau hin – und entdeckt noch im industriellen Produkt Archaisches. In einem FünferLagerungs-Set für Melonen beispielsweise ein Formensemble, dessen dunkle BetonFüllung uns ankommt wie die Körpervolumina der Venus von Willendorf.
Hans-Dieter Fronz, erschienen in der Badischen Zeitung, Di, 12. Februar 2019
2018
Hybrid
depot.K e.V. Kunstprojekt Freiburg
Einführung von Dr. Franz Armin Morat
Wir Paul Ahl und ich haben uns auf ein Experiment verständigt für den heutigen Abend. Ich kannte ihn nur äußerst oberflächlich so gut wie gar nicht und habe nicht das geringste von ihm hier gesehen. Das erste war jetzt vor ein paar Minuten.
Was mir beim aller ersten Durchgang auffiel ist ein Betonstück, schwärzlich dunkelgrau was genau unter uns im Untergeschoss hängt. Interessant war beim verlassen der Treppe der größtmögliche Abstand zum Objekt, wie es sich im Zuge der Annäherung des Betrachters verändert. Das belehrt, diese Erfahrung belehrt einmal mehr darüber, dass es, die Erscheinungsweise schlecht hin eines Werks der bildenden Kunst gar nicht gibt. Denn es sieht aus acht Metern Entfernung, ich habe es extra durch Abschreiten ausgemessen vollkommen anders aus als wenn man direkt davor steht. Müßig entscheiden zu wollen was die authentische Erscheinungsweise dieses Werks ist. Die hängt natürlich ab vom Raum und vom Licht, Licht in diesem Fall eingeschränkt weil wir es mit künstlichem Licht zu tun haben. Das wäre bei natürlicher Beleuchtung abermals ganz anders. Der Raum, dass ist gut nachvollziehbar aus acht Metern Entfernung sieht die Sache völlig anders aus als nach jedem Zwischenschritt bis hin zu einer ganz engen Annäherung auf wenige Zentimeter die sich auch als sehr sehr ergiebig herausstellt, wenn man mal dieses Experiment macht.
Also womit haben wir es Gattungsmäßig zu tun? Wandreliefs wäre ein Begriff, auf jeden Fall klar dreidimensionale Arbeiten. Das ist nun mal in der Natur der Sache in der Bildhauerei anders geht es ja nicht. Natürlich spielt die Fläche eine Rolle, die Dinge sind auf die Wand gehängt, auf die Wand montiert. Die Wand wird damit zwangsläufig Bestandteil des jeweiligen Werks. Auch das gilt es zu beachten. Ein anderer Punkt der sehr wichtig ist, die Unterscheidung von abstrakter und sogenannter gegenständlicher Kunst ist eine Fehlinterpretation, „apriori“ weil die Abgrenzung nicht möglich ist. Gerade bei intensiverem hinschauen stellt sich heraus, dass es einen gen gierenden Übergang gibt vom sogenannten gegenständlichen zum sogenannten abstrakten. Auch dort wo es zunächst völlig aussichtslos erscheint nach Gegenständlichkeit zu fragen oder danach zu suchen. Es ist vielmehr so, dass Mikrostrukturen äußerst realistisch dargestellt werden aber eben als abstrakte Erscheinungsweise nur in dieser Form erkennbar werden. Weil so zu sagen das andere aus dem Blickfeld gerät. Das sind außerordentlich interessante Wahrnehmungsvermögen die der Künstler hier indem er so arbeitet wie es der Betrachter nachvollziehen kann nicht nur durchschaut hat sondern es versteht diese Ambivalenz für den aufmerksamen Betrachter wirklich nachvollziehbar werden zu lassen. Das beginnt nicht nur bei formalen Dingen sondern das führt dann auch zu farblichen Problemen warum ist das eine Werk in Beton Türkis, es ist ja nicht angemalt sondern das Material hat ja diese Farbe. Wobei die Materialien Ton und Beton relativ eng beieinander liegen und es im übrigen auch reichlich unerheblich ist ob das jetzt Beton ist oder Gips oder irgendetwas anderes. Entscheidend bleibt das Erscheinungsbild, dass um es nochmal nachdrücklich zu betonen abhängig ist vom Raum und vom Licht also auch von der Entfernung des Betrachters. Machen Sie mal das Experiment und gehen Sie, kriechen Sie mal mit den Augen in diese Winkel dabei habe ich Ihn im übrigens bei einer Sache erwischt vorhin, dass einzige Stück in der Ausstellung wo ein kleines Stückchen locker hinten drin hängt. Ich habe mir sogar erlaubt mit den Pfoten rein zu graben um das Ding in die Hand zu nehmen. Es ist nichts beschädigt worden es ist alles in tadellosem Zustand. Da hat er sich selber gar nicht mehr daran erinnert. Mag irgendein Zufall sein das, dass da hinein geraten ist. Es war keine Absicht im Spiel. Nun können ja gerade Zufälle auch sehr fruchtbar werden. Jedenfalls ist das was Sie jetzt hier in dieser Ausstellung sehen und es sind ja immerhin 28 Stücke, dass erzeugt schon einen Überblick der wiederum auf die Betrachtung des Einzelwerks zurück wirkt nämlich durch den Kontext den die übrigen Werke herstellen, erzeugen. Und das sind Erfahrungen die Sie am besten durch individual- Besuche in dieser Ausstellung für sich selber nachvollziehen können. Dazu eignet sich eine große Versammlung weniger weil die Dinge im Blickfeld doch gestört werden. Also ich empfehle Ihnen, es lohnt sich wirklich die angedeuteten Erfahrungen mal bei individual Besuchen zu denen hier mehr Gelegenheit sich bieten wird als es den Veranstaltern lieb sein kann. Das ist nun mal so das geht uns ganz genauso. Hier wird man sich häufig ganz alleine wiederfinden und um so vorteilhafter und überzeugender sind dann die individuellen Erfahrungen beim Besuch dieser Ausstellung zu der ich Sie alle sehr beglückwünschen möchte den Künstler, Veranstalter, die Musiker. Kommen Sie wieder und versuchen Sie auf Entdeckungsreise zu gehen.
2017
ÜEBER LICHT UND SCHATTEN
Sheddachsaal der Zigarre, Künstlerhaus Heilbronn
Produziert von Philipp Seitz Klanggestaltung Dipl. Audio Engineer (SAE)
VIER
Kunst im Alten Spritzenhaus E.V., Kunstverein Bahlingen a.K.
Einführung von Dr. Antje Lechleiter
Paul Ahl hat vor seinem Kunststudium in Munzingen eine Ausbildung zum Steinmetz absolviert, mit Ton hatte er nicht viel zu tun. Inzwischen ist er ein moderner Archäologe, denn im Jahr 2014 fand zu einer überraschend neuen künstlerischen Technik. Er beobachtete, wie sich durch starken Regen Auswaschungen, Bodenerosionen ergeben und suchte in der Folge nach einem Weg, diesen Prozess selbst zu steuern. Mit verschiedensten Materialexperimenten tastete er sich zunächst an diesen natürlichen Vorgang heran. Inzwischen spült er mit dem Hochdruckereiniger feinere und grobere Partien aus Tonplatten heraus. Mit Wasser meißeln - diesen Prozess des Freilegens kann er inzwischen perfekt steuern und man sieht auf diesen beiden Platten sehr gut, wie filigran er mit dem Gerät arbeitet und wie gekonnt er dabei - etwa wie hier durch das Auflegen eines Schuhs - mit der Plastizität seines Untergrundes spielt. Ich habe eingangs schon erwähnt, dass Ahl mit allen vier Elementen arbeitet. Zwei davon, nämlich Erde und Wasser wurden nun schon erwähnt. Doch diese Tonreliefs durchlaufen noch einen langwierigen Trocknungsprozess (Stichwort Luft) bevor sie im Holzbrandverfahren und bei Temperaturen bis zu 1.000 Grad gebrannt und damit haltbar gemacht werden. Der Brand bringt nun auch den Zufall ins Spiel. Der Serientitel "Glücksspiel" gehört zu der vierteiligen Arbeit von 2017, die oben hängt und sich auf diese Unwägbarkeiten bezieht. Hier nahm Ahl das durch Spannungsrisse bedingte Zerbrechen der Tontafeln bewusst in Kauf, sammelte die Scherben aus dem Ofen und fügte sie mit Epoxidharz wieder zusammen. Ich bin mir sicher, dass ihn genau dieser Kontrast zwischen der absoluten Kontrolle bei der Gestaltung und dem unkontrollierbaren Ergebnis des Brandes fasziniert. Mir persönlich gefällt dieser Ausdruck von Skepsis gegenüber der Dauerhaftigkeit, Geschlossenheit und Stabilität eines Kunstwerkes. Nur konsequent ist der Plan des Künstlers, künftig auch mit Vollplastiken in den Raum zu gehen.
2016
Spuren finden. Zeichen setzen.
Regionale 17, Kunsthaus L6, Freiburg
Einführung von Jolanda Bozetti, Kunsthistorikerin
Erde, Feuer und Wasser sind die Elemente, mit denen der Bildhauer Paul Ahl (*1983, Heilbronn) arbeitet. Das nachahmen natürlicher Erosionsprozesse stand am Beginn seiner Arbeit mit Ton. Während der Regen durch Abwaschungen zufällige Formen auf der Erde hinterlässt, kann Paul Ahl mit einem Wasserstrahl die Gestaltung seiner Tonplatten gezielt steuern. So entstehen abstrakte Bilder, die etwa an Wellenmuster im Sand denken lassen. Oder es erscheinen reliefartige Abdrücke bekannter Alltagsgegenstände wie Dosen, Flaschen oder Telefone. Beim Brennvorgang spielt das nicht Steuerbare der elementaren Kraft eine wichtige Rolle. Im Ofen können die Arbeiten Risse bekommen oder auch komplett zerspringen. Dann wird der Bildhauer zum Archäologen, der in geduldiger Arbeit die Einzelteile wie ein Puzzle wieder zusammenfügt.
Bruchstelle
Museum „Altes Rathaus“, Leingarten
Einführung von Fiona Hesse, Kunsthistorikerin
Es gibt wohl keine ursprünglichere Tätigkeit, als Kunst mithilfe der vier Elemente zu kreieren. Paul Ahl bringt seine Arbeiten mit den Händen aus Erde in Form, modelliert sie mithilfe von Wasser, lässt sie von der Luft trocknen und vom Feuer konservieren. Er hat dabei ein künstlerisches Material gewählt, das so alt ist wie die Menschheit selbst: Lehm.
Seit prähistorischer Zeit spielt die Arbeit mit gebrannter Erde – Terra Cotta – eine wichtige Rolle in der Kunst. In der Renaissance z.B. nutzten Künstler Lehm in Form von sog. Bozzetti, kleinformatigen plastischen Skizzen, die den Auftraggebern Einblicke in den Arbeitsprozess gaben. Im Gegensatz zu weißem Marmor, Bronzeguss oder gegenwärtig hochpoliertem Edelstahl, galten Arbeiten aus Lehm jedoch als minderwertig. Obwohl so unterschiedliche Künstler wie Pablo Picasso, Jannis Kounellis oder Anselm Kiefer das Material im 20. Jahrhundert erneut für sich entdeckten und als Grundstock des Schöpferkünstlers ansahen und somit – zumindest ideell – veredelten, konnte sich Kunst aus Lehm bis heute nicht richtig von der Aura des Kunst-Handwerks lösen.
Dass sich dieses Stigma endlich im Wandel befindet, ist Künstlern wie Paul Ahl zu verdanken.
Seine ersten gebrannten Kunstwerke bestanden aus einer wilden Mischung aus Ton, Bauschutt und Blumenerde, über Jahrzehnte im Nutzgarten vermengt. Die Ergebnisse wirken authentisch roh und teilweise so fragil, als könnten sie jeden Augenblick bersten und zu Staub zerfallen. Mittlerweile nutzt Ahl professionellen Ton mit hohem Schamottanteil, der auch für Ziegelherstellung genutzt wird. Hier sind die Möglichkeiten, unterschiedliche Effekte durch die Struktur des Materials und seiner Bearbeitung zu erzielen, vielfältiger, das Material hitzebeständiger. Nicht immer hält der Rohstoff den Temperaturen bis zu 1000° C stand und zerspringt. Das liegt vor allem an den Rissen, die bei der Trocknung entstehen können, und die sich während des ca. 6h dauernden Holzbrands im Ofen verheerend auswirken können – in mühevoller Kleinarbeit setzt Ahl dann die Bruchstücke mithilfe von Tricks aus seiner Tätigkeit als Steinmetz in der Restaurierung wieder zusammen. Diese auf den ersten Blick misslungenen Brände verleihen seinen Kunstwerken jedoch oft genau jene Bruchstellen, die sie so vielschichtig machen.
Viele seiner Arbeiten zeigen Nutzgegenstände – Werkzeuge, Geschirr, Nahrungsmittel – und sind in ihrer Nutzlosigkeit – da durch ihre Übertragung in gebrannten Ton ihrem eigentlichen Sinn und Zweck enthoben – faszinierend und befremdlich zugleich. Unter dem Strahl des Wassers hinterlassen die auf dem Ton liegenden Gegenstände nach und nach einen reliefartigen Abdruck ihrer selbst. Wie beim Spiel mit Licht bewirkt ein nah am Untergrund liegender Gegenstand schärfere Konturen, als einer, der sich weiter entfernt befindet, was ihm eine fast mystische Aura verleiht. Nicht immer lassen sich Telefon, Kamera oder andere Gegenstände aus dem Alltag des Künstlers sofort erkennen. Der Wiedererkennungswert ist aber nicht das Hauptaugenmerk des Künstlers. Wichtiger sind die Form eines Gegenstandes und sein physischer „Schatten“, den das ihn umspülende Wasser hinterlässt und ihm so eine eigene Gestalt gibt.
Obwohl ursprünglich weniger politisch oder gar gesellschaftskritisch motiviert, können Paul Ahls Arbeiten durchaus als kritische Dekonstruktionen des Alltags verstanden werden. Wie Objekte archäologischer Forschungen aus der Zukunft spiegeln die Wasserschatten elektrischer Geräte die planmäßige Kurzlebigkeit (geplante Obsoleszens) ihrer selbst wider – ihre technische (Soll-)Bruchstelle – und wir Betrachter stehen den Relikten unserer Konsumgesellschaft gegenüber. Entgegen der realen Fetischverbrennung und Verbrennung von Konsumgütern bei Künstlern wie Allan Kaprow oder Nam June Paik geschieht dieser gesellschaftskritische Akt bei Ahl eher symbolisch, eine fast schon esoterische Rückführung der dargestellten Gegenstände in den natürlichen Urzustand ihrer Materialien, in den Kreislauf des Lebens.
Den freieren Arbeiten liegen hingegen keine Gegenstände zugrunde, sondern entstehen aus Ahls Spiel mit dem Wasser. Meist flach auf dem Boden liegend, wird die glatt gestrichene Fläche durch den Wasserstrahl und verschiedene Düsen aufgeraut, platzt auf, wird teilweise sogar durchbrochen. Die Ergebnisse werfen ganz andere Fragen auf, regen Assoziationen an, verlangen, auch physisch den Standpunkt zu wechseln, um einen anderen Blickwinkel zu erhalten und in die Tiefe schauen zu können. Stehen wir einem von ferne aufgenommenen Satellitenbild oder zigfach vergrößerten Mikroben gegenüber? Betrachten wir die fragilen Lagen zarter Blütenblätter? Oder sehen wir schlicht und ergreifend eine vom Wasserstrahl aufgespaltene Oberfläche? Antworten erhalten wir aus dem eigenen Bilderschatz und dem kollektiven Bildgedächtnis, das heute durch die digitalen Verbreitungsmöglichkeiten globaler, universeller und vielfältiger geworden ist als je zuvor.
Als Kunstbetrachter lassen sich dadurch noch ganz andere Parallelen erkennen: Wenn Ahl seine Tonflächen mit dem Wasser durchlöchert und durchschneidet, erinnern seine Arbeiten an die zerhackten Leinwände Lucio Fontanas, in denen dieser die Grundbedingungen der traditionellen Malerei zerstörte: Die zweidimensionale Grundfläche einer Leinwand. Mit der Wasserdüse als Pinsel und dem formbaren Lehm als Leinwand rührt Ahl in seinen Arbeiten zwar nicht an den Grundfesten der Bildhauerei, aber fügt ihr eine neue und in ihren Ausdrucksmöglichkeiten äußerst malerische Komponente hinzu: Nicht die Hand direkt formt oder schwingt den Meißel, sondern lenkt nur noch indirekt die Kraft des Wassers. Durch den transformativen Vorgang des Brennens der eigentlich bereits fertig gestalteten Arbeiten wiederum gibt er seine bildähnlichen Reliefs dem Zufall preis – jeder Brand ein Spiel mit dem Feuer!
Dieses wiederum gibt jeder Arbeit auch ihre individuelle Färbung, denn auch die Farbverläufe, die durch den Brennvorgang entstehen, sind nur bedingt vorhersehbar oder gar planbar, können aber durch den Zusatz diverser Stoffe wie z.B. Eisenoxyd beeinflusst werden. Oft erreichen die Ergebnisse in ihrer Farbigkeit eine stark malerische Wirkung, die seine Arbeiten zu einem dreidimensionalen Gemälde werden lässt.
Paul Ahl erschafft mit seinen Arbeiten im ursprünglichen Sinne eine Skulptur, bleibt seinen bildhauerischen Wurzeln treu – dabei gelingt es ihm, das jahrhundertealte Relief in der zeitgenössische Kunst zu neuem, ästhetischen Leben zu erwecken und erlöst die Kunst der Terra Cotta gleichzeitig vom Fluch des Handwerklichen.
Comming home with art
Treppengespräch im Complex23/Triangel Ausstellungsfächen, Heilbronn
mit Dr. Bernhard Stumpfhaus
Das Treppengespräch am letzten Tag der Ausstellung Coming home with art von Paul Ahl beschäftigt sich vor allem mit dem Werden seiner Arbeiten aus gebranntem Ton. Adam, rote Erde. Der erste Mensch aus Ton. Babylon, Tontafeln mit den ersten geordneten Schriftzeichen, Tabellen ähnlich unserer Excel-Dateien. Das Formen aus Erde gehört wohl zu den ersten Tätigkeiten des sesshaften Menschen: Erde, Wasser, Feuer, Luft, das planende Zusammenfügen der Elemente zur Sicherung und zum Ausbau der Zivilisation. Doch soweit wollen wir nicht unbedingt zurückgreifen. In der Diskussion wollen wir vielmehr fragen, was den Künstler bewegt, sich den Formungen dieses ältesten plastischen Materials hinzugeben. Was braucht es, um diese irdenen Platten zu gestalten und zu brennen, dass sie so aussehen… wie versteinerte Relikte entweder aus grauer Vor- oder aus postapokalyptischer Nachzeit. Alle sind natürlich eingeladen mitzudiskutieren und ihre Fragen an den Künstler zu stellen.
2014
DREIRAUM
Kunstverein March, March-Hugstetten
Einführung von Dr. Christoph Schneider
Paul Ahl
... arbeitet mit Erde und Ton. Er imitiert Prozesse in der Natur, in der ganze Landschaften durch Bodenerosion, das sukzessive Wegschwemmen von Sand und Erde langsam verändert werden.
Erste Arbeiten ließ er Monate im Regen liegen. Auswaschungen und Verfärbungen entstanden im Laufe dieser Zeit und wurden durch den Brennvorgang konserviert.
Mittlerweile geht er gezielter vor, er beschleunigt den Vorgang, indem er mit einem Hochdruckreiniger kontrolliert Material auf den vorbereiteten Flächen abträgt.
Aufgelegte Objekte hinterlassen dabei ihre erhabenen Spuren. Von frühen Arbeiten bis hin zu aktuellen Ergebnissen sind seine Reliefplatten in der Ausstellung nebeneinander zu sehen.
Die Chronologie einer Idee, bei der die Motive immer weniger wichtig zu werden scheinen.
In der Reihung erkennt man verschiedene Werkphasen, in denen Paul Ahl mit verschiedenen Holzbrandtechniken experimentiert hat. Bei diesen eher einfachen Brenntechniken bleiben die Temperaturen nie konstant–was man an der unterschiedlichen Farbigkeit der Scherben gleichen Materials erkennt.
Das Werkstück zerspringt oftmals beim Brennen zu einem Scherbenhaufen. Keine Katastrophe, sondern ein kalkulierter Fehler, denn damit beginnt die Weiterarbeit, die eigentliche Herausforderung künstlerischer Entscheidung: das erneute Zusammensetzen ausgewählter Fragmente.
Zufall (Zeit) und Entscheidung – auf diesen Aspekten beruht maßgeblich das künstlerische Konzept . Paul Ahl beschäftigt sich somit mit den grundlegenden Aspekten gestalterischen Arbeitens, insbesondere mit den künstlerischen Strategien und nach wie vor aktuellen Fragen der Moderne.