2023

VOM FLIEGEN UND FALLEN

Galerie Marek Kralewski, Freiburg

Einführung Marek Kralewski

 

Vom Fliegen und Fallen. Wie wir alle wissen ist das Fliegen mit nicht unerheblichen Gefahren verbunden. Aus der griechischen Mythologie kennen wir die Geschichte von Dädalus und Ikarus, die sich mit selbst gebauten Flügeln auf die Flucht aus dem Labyrinth des Minotaurus machen. Dädalus Sohn Ikarus ignoriert die Warnung seines Vaters, der Sonne nicht zu nah zu kommen, wird übermütig und stürzt ab als die Sonne das Wachs seiner Flügel schmelzen lässt. Er fällt ins Meer und stirbt.

Doch nicht nur aus Mythen ist uns der Zusammenhang zwischen dem Fliegen und dem Fallen bekannt, sondern wahrscheinlich jedem Einzelnen auch aus dem Alltag. Hat man sich zuletzt noch federleicht auf der Höhe befunden kann das eine bestimmte Ereignis alles aus der Bahn werfen und den Fall einleiten. Dann wünscht man sich sanft und abgefedert auf einer weichen Matratze zu landen.

Ich kann nur soviel verraten: Pauls Abgüsse von Matratzen eignen sich nicht dazu.

Alle hier versammelten Arbeiten sind aus Beton gefertigt und changieren zwischen Leichtigkeit und Schwere, Weichheit und Härte. Zum Teil ist es die Kombination durch das noch in Teilen auf den Kunstwerken stehen gelassene ursprüngliche Material, zum anderen die Form, die Farbe oder die Struktur der Oberfläche.

Die "Skulpturen" auf dem Boden könnten tatsächlich für Bruchstücke aus Styropor gehalten werden, doch bei näherem Hinsehen fällt auf, dass sich manche der Stücke gleichen und identische Bruchkanten haben. Spätestens wenn man sie in die Hand nehmen würde wäre es offensichtlich: Es sind Fakes. Also nicht wirklich Fake, sondern eher Kunst. Kunst, die sich löst und selbständig macht von dem Gegenstand seiner Darstellung.

Doch vielleicht ist es auch die Arbeit "Andenken", die in dieser Ausstellung die konsequenteste Position einnimmt. Es ist eine sehr persönliche Sammlung von Stücken, die Paul in seinem Atelier über einen langen Zeitraum gesammelt hat und hier zum ersten Mal der Öffentlichkeit präsentiert. Jedes einzelne der präsentierten Erinnerungsstücke ist mit einem Andenken verbunden, die nur Paul kennt.

2022

Den Zufall als Partner.

Julia Galandi-Pascual

 

Wie entsteht die Form? Nicht ausschließlich, aber wohl auch weil Paul Ahl ursprünglich ausgebildeter Steinmetz ist, erscheint diese Frage zentraler Ausgangspunkt in seinem künstlerischen Werk als Bildhauer. Der Zufall spielt im Entstehungsprozess bereits in den frühen Arbeiten aus Lehm und Ton genauso eine Rolle wie in den seit 2017 produzierten Arbeiten aus Beton. Während sich erstere seiner Kontrolle noch während des Trocknens und vor allem Brennens entzogen hatten, erscheint das Unerwartete bei den jüngeren Arbeiten auf unterschiedlichen Ebenen maßgeblich sowohl für die Formfindung, ihre Erscheinung und schließlich auch für deren Wahrnehmung bedeutungsvoll.

Gleich zu Beginn stellt sich daher auch die Frage, wer eigentlich wen findet: Der Künstler die Form oder die Form den Künstler? So mag man durchaus spekulieren, wenn man erfährt, dass Paul Ahl in der Regel zufällig vorgefundene Umverpackungen zur Formfindung nutzt: Es sind Hüllen, ursprünglich zum Schutz oder der besseren Handhabung von Produkten und Waren vorgesehen, die zu diesem Zeitpunkt aber nur noch Überreste der Konsumkultur darstellen. Die im wahrsten Sinne entleerten Formen, die offenbar auf Abwesendes verweisen, fallen Paul Ahl so unmittelbar ins Auge, dass er – wie er selbst einräumt – in dem Augenblick gar keine Wahl habe, als jene eigentlich entsorgten plastischen Gestalten an sich zu nehmen. Während viele Produkte, selbst Lebensmittel, nur dank einer geeigneten Schutzverpackung überhaupt erst in normierten Ablaufprozessen von Logistik und Handel vertrieben werden können, setzt Paul Ahl jene Packmittel nun als Gussformen auf eine im wahrsten Sinne einzigartige Art ein. Ob aus Kunststoff, Kartonage, Folie oder Styropor: Für die fortlaufende Werkreihe „Umverpackungen“ ist nur ein Guss pro Verpackungsform möglich, die sich währenddessen entweder selbst auflöst oder zerstört werden muss, um die darin gegossene Form freilegen zu können. In den Arbeiten der jüngeren Serie „Dispersion“ können die Ausgangsmaterialien, wie Schaumstoff oder Karton dagegen als Träger der Betonmasse erhalten bleiben.

Waren es früher noch Nutzgegenstände selbst, die auf Ton bewusst ausgelegt reliefartige Abdrücke hinterlassen hatten, entstehen nun die plastischen Arbeiten durch die Füllung bereits existierender, zufällig vorgefundener Formen. Ein vorgegebener Negativraum wird zum Protagonisten im Entstehungsprozess einer möglichen positiven Form. Geradezu selbstverständlich erscheint es dann, dass der Kontrollverlust weiter gepflegt wird. Denn auch wenn Paul Ahl aufgrund von Erfahrungswerten mittlerweile zwar erahnen kann, wie sich die weiche Masse in den Gussformen ausdehnen oder welche Wirkung die Oberfläche entwickeln wird, bleibt trotzdem zu guter Letzt die Entwicklung fremd bestimmt: Einfluss können z.B. die charakteristische Beschaffenheit der Innenseiten der Gussformen oder der Beton selbst haben, der nach der Austrocknung mal geschlossen, mal offenporig, bisweilen aufgeraut erscheinen kann. Die grundsätzliche Bereitschaft des Zulassens ermöglicht hier reales Vorhandensein.

Während schon die gegossenen Formen eindeutige Rückschlüsse auf ursprünglich-funktionale Zusammenhänge erschweren, wird dieser Entfremdungseffekt zusätzlich durch den Einsatz von Farbe gesteigert. Pigmente, Lacke und Farben: Abgetönt, gemischt bis markant-kräftig, bisweilen sogar grell-neonfarben, prägen die Erscheinung der Arbeiten von Paul Ahl inzwischen maßgeblich mit. Dieser Farbrausch konterkariert aber nicht nur das formale, technisch-praktische Aussehen der dreidimensionalen Körper auf sinnliche Art und Weise, sondern entrückt sie endgültig aus funktionalen Notwendigkeiten und ist so Voraussetzung der Sehereignisse, die Paul Ahls Arbeiten darstellen.

Auch wenn die Entscheidungen für den ein oder anderen Farbton stets intuitiv vom Künstler gefällt werden, kommt auch hier wieder die bewusst fehlende Absicht ins Spiel. Denn viel hängt davon ab, wie Beton und Pigment miteinander reagieren: Sollte letzteres bei einer direkten Beimischung eigentlich absinken, kann es dann plötzlich doch vereinzelt hochkommen, so dass unkontrolliert selbstbestimmte Farbeinschüsse auf der späteren Oberfläche zu sehen sind. Auch wie sich direkt in die Verpackung gesprühte Farbe mit dem Gussmaterial verbindet, ist nicht exakt vorhersehbar, sondern führt zu eigenmächtigen Anmutungen, bei denen die Pigmente mal sich primär-vereinzelt, staubartig ablagern, mal in verkrusteten Flächen auf dem Trägermaterial sichtbar bleiben. In anderen Fällen sind Farbverläufe zu entdecken, die offensichtlich aus keinem erkennbaren Kompositionswillen entwickelt wurden und trotzdem niemals willkürlich, sondern zufällig-bestimmt erscheinen.

Eine besonders spannungsvolle Rückkoppelung mit der Alltagswelt erfahren Paul Ahls Plastiken schließlich, wenn sie nicht in einem White Cube-Ausstellungsraum präsentiert werden, sondern z.B. in gewerblich genutzten Räumen zwischen anderen, durchaus funktionalen Elementen wie einem Brandmelder, Lüftungsausgang oder Heizkörper montiert werden. Plötzlich muss man sich fragen, welcher Unterschied zwischen solchen Formen und denen besteht, die Paul Ahls Arbeiten sind? Ist es nicht reiner Zufall, was wir als zweckmäßige und was als ästhetische Gestalt wahrnehmen? Die anfänglich für Paul Ahls künstlerische Arbeit als zentral beschriebene Frage nach den Entstehungsbedingungen von Formen, muss daher um die Bedingungen ihrer Wahrnehmung erweitert werden. Während das eigenmächtige Zusammenspiel von Formen, Material und Farben in Paul Ahls Arbeiten bekannt und gleichzeitig fremd anmutet und zunächst vor allem unseren Sehsinn anregt, besteht ihre besondere Qualität letztlich aber darüber hinaus darin, dass sie unseren Blick auf das, was uns vielleicht absichtslos umgibt, auf das Nebensächliche, auf das Darunter und Dahinter oder auch auf das Dazwischen zu lenken vermögen - und das in keineswegs zufälliger Weise!

WECHSELWIRKUNG

GeorgScholzHaus, Kunstforum Waldkirch

2021

SPANNUNGSFELD

Museum "Altes Rathaus" Leingarten

Josef Staudinger - Zwei, die sich ergänzen, erschienen in der Heilbronner Stimme Westausgabe, 23.11.2021.

2020

DIE TRAUMLANDE,

Galerie Marek Kralewski, Freiburg

Einführung  Dr. Caroline Li-Li Yi

 

Die Oberfläche der beiden Basreliefs aus der Serie Dispersion lassen mich an einen abenteuerlichen Tauchgang denken. Leuchtende Auswüchse von Korallen und unwägbar geheimnisvolle Unterwasserhöhlen ziehen unsere Wahrnehmung hinab in die Tiefe.

Paul Ahl absolvierte eine Ausbildung zum Steinmetz, bevor er an der Edith Maryon Kunstschule Bildhauerei studierte. Neben den beiden aktuellen Wandarbeiten aus der Reihe Dispersion ergänzt die Arbeit Umverpackung 107 als kleine Premiere das Portfolio des Künstlers. Dieses flache, tonig, sandige Werk ist befreit vom Halt einer Wandfläche und tastet sich als Sockelarbeit in den Raum.

Paul Ahl erschließt sich in seinen Arbeiten die Form über das Material. Beton, ist das Mittel seiner Wahl, das er in Schaumstoff oder in Verpackungen gießt. Das Interesse des Künstlers gilt der Struktur der Dinge. Wie ein Forscher untersucht und zerlegt er die alltäglichen Substanzen und verwandelt sie in eine Materie, die uns fremdartig und doch vertraut erscheint. Aus sogenannten armen Materialien wie Schaumstoff und Beton schafft Paul Ahl anmutige Reliefs, die sich wie lebendige Strukturen die Wandflächen erschließen. Dabei transformiert der Künstler die luftig leichten, vergänglichen Textur des Schaums in beständige, gewichtige Formen aus Beton. Er lässt die Materialien aufeinander wirken und lässt zu, dass sie sich durchdringen. Durch Zugabe von Pigmenten entstehen Farben, die wie Mineralien von einem weit gereisten Himmelskörper aussehen. 

Die Online-Vernissage zur Ausstellung mit Dr. Caroline Li-Li Yi auf youtube:

2019

Kunststein

Mojäk Galerie, Heilbronn

Frau Michaela Adick - Der ein neues Material erforscht, erschienen in der Heilbronner Stimme, 15. April 2019
Heilbronner Stimme_Der ein neues Materia
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UMVERPACKUNG

Galerie Marek Kralewski, Freiburg

Einführung Marek Kralewski

 

Paul Ahl absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Steinmetz, bevor er sich entschloss ein Bildhauerstudium an der Edith-Marion-Kunstschule in Freiburg-Munzingen anzuschließen. Das war ein Ausdruck seines Freiheitswillens.

Zuerst sticht eine Arbeit hervor, die sich nicht so recht zu den anderen Arbeiten fügen will: "Ohne Titel 12" am Eingang. Wir haben uns dennoch entschlossen diese Arbeit zu zeigen, weil sie den Übergang erfahrbar macht. Sie stammt aus einer Serie bei der Paul Ahl gefundene Gegenstände mittels Auswaschung auf Ton- und Erdtafeln übertragen hat um sie anschließend im umgebauten Ofen zu brennen. Nur die Erhebungen und Vertiefungen erlauben uns das Dargestellte zu imaginieren und das Ergebnis könnte ein Ausschnitt aus einer archäologischen Grabung sein. Bei "Ohne Titel 12" sind die Umrisse von weggeworfenen Verpackungen, Dosen und ähnlichem zu sehen. Das was dort nur ein leichtes Relief hat, quasi ein Schatten seiner selbst, ist bei den anderen hier gezeigten Arbeiten das Gefäß aus dem das Kunstwerk entsteht.

Seit 2017 arbeitet Paul Ahl auch mit Beton, den er mit Pigmenten, Lacken und Farben mischt und kombiniert. Wie im vorderen Raum zu sehen, ist das Material Beton äußerst vielfältig. Je nach Material und Beschaffung der Umverpackung, je nach Zusammensetzung des Beton-Rezeptes und je nach Verarbeitung gelingt es Paul Ahl eine verblüffende Täuschung zu erzeugen, bei der die Eigenschaften von Form und Inhalt verschwimmen. So zeigt sich z.B. bei "Umverpackung 24" der Beton gleich der Sahne auf einem Kuchen oder dreckig-rostig wie bei "Umverpackung 25".

Aus diesen Farb- und Materialexperimenten heraus entdeckte Paul Ahl verstärkt die Form als Forschungsfeld. Der archäologische Impetus brachte eine Reihe von Arbeiten hervor deren Formen sehr eigensinnig und doch vertraut wirken und deren Alter nur schwer bestimmt werden kann. Diese Arbeiten scheinen eine merkwürdige Verwandtschaft zur Aztekischen Kunst und Architektur zu haben. Eine Arbeit gar, "Umverpackung 46", erinnert an die Venus von Willendorf. Das sind 30.000 Jahre Menschheitsgeschichte. Einzig die ab und an in den Werken sichtbaren arabischen Zahlen und lateinischen Buchstaben verraten uns, das der Ursprung industrieller Natur ist und es sich nicht um Götzenfiguren handelt. Oder doch?

Paul Ahls Verdienst besteht darin aus dem Alltäglichen das Besondere herauszuholen.

Paul Ahl - Umverpackung

In Ton gearbeitet hat, freilich als Bildhauer, bis vor nicht langer Zeit auch Paul Ahl. Heute ist das Material seiner Wandobjekte hauptsächlich Beton. Die wachsen in der Freiburger Galerie Marek Kralewski in fremdartig anmutenden Formen zart pastellfarben aus der Wand. "Umverpackung" – den Begriff, den der 1983 Geborene als Titel einer Werkserie und jetzt der Ausstellung mit neuen Arbeiten wählte, glaubte er ursprünglich selbst erfunden zu haben. Um irgendwann festzustellen, dass er die Fachbezeichnung für eine äußere Verpackung ist, in der eine bereits abgepackte Ware transportiert und zum Kauf angeboten wird.

Exakt solche Verpackungen nutzt Ahl als Gussform für seine Beton-Objekte. Das Innere ist in ihnen gleichsam nach außen gestülpt. Und was als Hülle für anderes diente, gewinnt eigene Fülle und Substanz – in der alchemistischen Verwandlung sogar bisweilen figürliche Anmutung wie diese zartviolettfarbene Form, die ans Antlitz eines Androiden denken lässt. Zwei rosa Formen erinnern dagegen an menschliche Torsi mit Arm- und Beinstümpfen.

Als "Dekonstruktion des Alltags" wurde Ahls Kunst etwas modisch etikettiert; das Gegenteil trifft zu. Ahls Interesse gilt der Ästhetik industrieller Gebrauchsformen, die er verfremdet, nur um ihre unbeachteten Formpotenziale hervor zu kitzeln. Wir sind ja umgeben von Dingen, über die wir achtlos hinweggehen. Paul Ahl sieht genau hin – und entdeckt noch im industriellen Produkt Archaisches. In einem FünferLagerungs-Set für Melonen beispielsweise ein Formensemble, dessen dunkle BetonFüllung uns ankommt wie die Körpervolumina der Venus von Willendorf.

 

Hans-Dieter Fronz, erschienen in der Badischen Zeitung, Di, 12. Februar 2019

Hans-Dieter Fronz - Das archaische im Industriellen, erschienen in der Badischen Zeitung, 12. Februar 2019
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2017

ÜEBER LICHT UND SCHATTEN

Künstlerhaus Heilbronn

 

Produziert von Philipp Seitz Klanggestaltung Dipl. Audio Engineer (SAE)

2016

Spuren finden. Zeichen setzen.

Regionale 17, Kunsthaus L6, Freiburg

Einführung von Jolanda Bozetti, Kunsthistorikerin

 

Erde, Feuer und Wasser sind die Elemente, mit denen der Bildhauer Paul Ahl (*1983, Heilbronn) arbeitet. Das nachahmen natürlicher Erosionsprozesse stand am Beginn seiner Arbeit mit Ton. Während der Regen durch Abwaschungen zufällige Formen auf der Erde hinterlässt, kann Paul Ahl mit einem Wasserstrahl die Gestaltung seiner Tonplatten gezielt steuern. So entstehen abstrakte Bilder, die etwa an Wellenmuster im Sand denken lassen. Oder es erscheinen reliefartige Abdrücke bekannter Alltagsgegenstände wie Dosen, Flaschen oder Telefone. Beim Brennvorgang spielt das nicht Steuerbare der elementaren Kraft eine wichtige Rolle. Im Ofen können die Arbeiten Risse bekommen oder auch komplett zerspringen. Dann wird der Bildhauer zum Archäologen, der in geduldiger Arbeit die Einzelteile wie ein Puzzle wieder zusammenfügt.  

Bruchstelle

Museum „Altes Rathaus“, Leingarten

Einführung von Fiona Hesse, Kunsthistorikerin

 

Es gibt wohl keine ursprünglichere Tätigkeit, als Kunst mithilfe der vier Elemente zu kreieren. Paul Ahl bringt seine Arbeiten mit den Händen aus Erde in Form, modelliert sie mithilfe von Wasser, lässt sie von der Luft trocknen und vom Feuer konservieren. Er hat dabei ein künstlerisches Material gewählt, das so alt ist wie die Menschheit selbst: Lehm.

Seit prähistorischer Zeit spielt die Arbeit mit gebrannter Erde – Terra Cotta – eine wichtige Rolle in der Kunst. In der Renaissance z.B. nutzten Künstler Lehm in Form von sog. Bozzetti, kleinformatigen plastischen Skizzen, die den Auftraggebern Einblicke in den Arbeitsprozess gaben. Im Gegensatz zu weißem Marmor, Bronzeguss oder gegenwärtig hochpoliertem Edelstahl, galten Arbeiten aus Lehm jedoch als minderwertig. Obwohl so unterschiedliche Künstler wie Pablo Picasso, Jannis Kounellis oder Anselm Kiefer das Material im 20. Jahrhundert erneut für sich entdeckten und als Grundstock des Schöpferkünstlers ansahen und somit – zumindest ideell – veredelten, konnte sich Kunst aus Lehm bis heute nicht richtig von der Aura des Kunst-Handwerks lösen.

Dass sich dieses Stigma endlich im Wandel befindet, ist Künstlern wie Paul Ahl zu verdanken.

Seine ersten gebrannten Kunstwerke bestanden aus einer wilden Mischung aus Ton, Bauschutt und Blumenerde, über Jahrzehnte im Nutzgarten vermengt. Die Ergebnisse wirken authentisch roh und teilweise so fragil, als könnten sie jeden Augenblick bersten und zu Staub zerfallen. Mittlerweile nutzt Ahl professionellen Ton mit hohem Schamottanteil, der auch für Ziegelherstellung genutzt wird. Hier sind die Möglichkeiten, unterschiedliche Effekte durch die Struktur des Materials und seiner Bearbeitung zu erzielen, vielfältiger, das Material hitzebeständiger. Nicht immer hält der Rohstoff den Temperaturen bis zu 1000° C stand und zerspringt. Das liegt vor allem an den Rissen, die bei der Trocknung entstehen können, und die sich während des ca. 6h dauernden Holzbrands im Ofen verheerend auswirken können – in mühevoller Kleinarbeit setzt Ahl dann die Bruchstücke mithilfe von Tricks aus seiner Tätigkeit als Steinmetz in der Restaurierung wieder zusammen. Diese auf den ersten Blick misslungenen Brände verleihen seinen Kunstwerken jedoch oft genau jene Bruchstellen, die sie so vielschichtig machen.

Viele seiner Arbeiten zeigen Nutzgegenstände – Werkzeuge, Geschirr, Nahrungsmittel – und sind in ihrer Nutzlosigkeit – da durch ihre Übertragung in gebrannten Ton ihrem eigentlichen Sinn und Zweck enthoben – faszinierend und befremdlich zugleich. Unter dem Strahl des Wassers hinterlassen die auf dem Ton liegenden Gegenstände nach und nach einen reliefartigen Abdruck ihrer selbst. Wie beim Spiel mit Licht bewirkt ein nah am Untergrund liegender Gegenstand schärfere Konturen, als einer, der sich weiter entfernt befindet, was ihm eine fast mystische Aura verleiht. Nicht immer lassen sich Telefon, Kamera oder andere Gegenstände aus dem Alltag des Künstlers sofort erkennen. Der Wiedererkennungswert ist aber nicht das Hauptaugenmerk des Künstlers. Wichtiger sind die Form eines Gegenstandes und sein physischer „Schatten“, den das ihn umspülende Wasser hinterlässt und ihm so eine eigene Gestalt gibt.

Obwohl ursprünglich weniger politisch oder gar gesellschaftskritisch motiviert, können Paul Ahls Arbeiten durchaus als kritische Dekonstruktionen des Alltags verstanden werden. Wie Objekte archäologischer Forschungen aus der Zukunft spiegeln die Wasserschatten elektrischer Geräte die planmäßige Kurzlebigkeit (geplante Obsoleszens) ihrer selbst wider – ihre technische (Soll-)Bruchstelle – und wir Betrachter stehen den Relikten unserer Konsumgesellschaft gegenüber. Entgegen der realen Fetischverbrennung und Verbrennung von Konsumgütern bei Künstlern wie Allan Kaprow oder Nam June Paik geschieht dieser gesellschaftskritische Akt bei Ahl eher symbolisch, eine fast schon esoterische Rückführung der dargestellten Gegenstände in den natürlichen Urzustand ihrer Materialien, in den Kreislauf des Lebens.

Den freieren Arbeiten liegen hingegen keine Gegenstände zugrunde, sondern entstehen aus Ahls Spiel mit dem Wasser. Meist flach auf dem Boden liegend, wird die glatt gestrichene Fläche durch den Wasserstrahl und verschiedene Düsen aufgeraut, platzt auf, wird teilweise sogar durchbrochen. Die Ergebnisse werfen ganz andere Fragen auf, regen Assoziationen an, verlangen, auch physisch den Standpunkt zu wechseln, um einen anderen Blickwinkel zu erhalten und in die Tiefe schauen zu können. Stehen wir einem von ferne aufgenommenen Satellitenbild oder zigfach vergrößerten Mikroben gegenüber? Betrachten wir die fragilen Lagen zarter Blütenblätter? Oder sehen wir schlicht und ergreifend eine vom Wasserstrahl aufgespaltene Oberfläche? Antworten erhalten wir aus dem eigenen Bilderschatz und dem kollektiven Bildgedächtnis, das heute durch die digitalen Verbreitungsmöglichkeiten globaler, universeller und vielfältiger geworden ist als je zuvor.

Als Kunstbetrachter lassen sich dadurch noch ganz andere Parallelen erkennen: Wenn Ahl seine Tonflächen mit dem Wasser durchlöchert und durchschneidet, erinnern seine Arbeiten an die zerhackten Leinwände Lucio Fontanas, in denen dieser die Grundbedingungen der traditionellen Malerei zerstörte: Die zweidimensionale Grundfläche einer Leinwand. Mit der Wasserdüse als Pinsel und dem formbaren Lehm als Leinwand rührt Ahl in seinen Arbeiten zwar nicht an den Grundfesten der Bildhauerei, aber fügt ihr eine neue und in ihren Ausdrucksmöglichkeiten äußerst malerische Komponente hinzu: Nicht die Hand direkt formt oder schwingt den Meißel, sondern lenkt nur noch indirekt die Kraft des Wassers. Durch den transformativen Vorgang des Brennens der eigentlich bereits fertig gestalteten Arbeiten wiederum gibt er seine bildähnlichen Reliefs dem Zufall preis – jeder Brand ein Spiel mit dem Feuer!

Dieses wiederum gibt jeder Arbeit auch ihre individuelle Färbung, denn auch die Farbverläufe, die durch den Brennvorgang entstehen, sind nur bedingt vorhersehbar oder gar planbar, können aber durch den Zusatz diverser Stoffe wie z.B. Eisenoxyd beeinflusst werden. Oft erreichen die Ergebnisse in ihrer Farbigkeit eine stark malerische Wirkung, die seine Arbeiten zu einem dreidimensionalen Gemälde werden lässt.

Paul Ahl erschafft mit seinen Arbeiten im ursprünglichen Sinne eine Skulptur, bleibt seinen bildhauerischen Wurzeln treu – dabei gelingt es ihm, das jahrhundertealte Relief in der zeitgenössische Kunst zu neuem, ästhetischen Leben zu erwecken und erlöst die Kunst der Terra Cotta gleichzeitig vom Fluch des Handwerklichen.

Comming home with art

Treppengespräch im Complex23/Triangel Ausstellungsfächen, Heilbronn

mit Dr. Bernhard Stumpfhaus

 

Das Treppengespräch am letzten Tag der Ausstellung Coming home with art von Paul Ahl beschäftigt sich vor allem mit dem Werden seiner Arbeiten aus gebranntem Ton. Adam, rote Erde. Der erste Mensch aus Ton. Babylon, Tontafeln mit den ersten geordneten Schriftzeichen, Tabellen ähnlich unserer Excel-Dateien. Das Formen aus Erde gehört wohl zu den ersten Tätigkeiten des sesshaften Menschen: Erde, Wasser, Feuer, Luft, das planende Zusammenfügen der Elemente zur Sicherung und zum Ausbau der Zivilisation. Doch soweit wollen wir nicht unbedingt zurückgreifen. In der Diskussion wollen wir vielmehr fragen, was den Künstler bewegt, sich den Formungen dieses ältesten plastischen Materials hinzugeben. Was braucht es, um diese irdenen Platten zu gestalten und zu brennen, dass sie so aussehen… wie versteinerte Relikte entweder aus grauer Vor- oder aus postapokalyptischer Nachzeit. Alle sind natürlich eingeladen mitzudiskutieren und ihre Fragen an den Künstler zu stellen.

2014

DREIRAUM

Kunstverein March, March-Hugstetten

Einführung von Dr. Christoph Schneider

 

Paul Ahl

... arbeitet mit Erde und Ton. Er imitiert Prozesse in der Natur, in der ganze Landschaften durch Bodenerosion, das sukzessive Wegschwemmen von Sand und Erde langsam verändert werden.

Erste Arbeiten ließ er Monate im Regen liegen. Auswaschungen und Verfärbungen entstanden im Laufe dieser Zeit und wurden durch den Brennvorgang konserviert.

Mittlerweile geht er gezielter vor, er beschleunigt den Vorgang, indem er mit einem Hochdruckreiniger kontrolliert Material auf den vorbereiteten Flächen abträgt.

Aufgelegte Objekte hinterlassen dabei ihre erhabenen Spuren. Von frühen Arbeiten bis hin zu aktuellen Ergebnissen sind seine Reliefplatten in der Ausstellung nebeneinander zu sehen.

Die Chronologie einer Idee, bei der die Motive immer weniger wichtig zu werden scheinen.

In der Reihung erkennt man verschiedene Werkphasen, in denen Paul Ahl mit verschiedenen Holzbrandtechniken experimentiert hat. Bei diesen eher einfachen Brenntechniken bleiben die Temperaturen nie konstant–was man an der unterschiedlichen Farbigkeit der Scherben gleichen Materials erkennt.

Das Werkstück zerspringt oftmals beim Brennen zu einem Scherbenhaufen. Keine Katastrophe, sondern ein kalkulierter Fehler, denn damit beginnt die Weiterarbeit, die eigentliche Herausforderung künstlerischer Entscheidung: das erneute Zusammensetzen ausgewählter Fragmente.

Zufall (Zeit) und Entscheidung – auf diesen Aspekten beruht maßgeblich das künstlerische Konzept . Paul Ahl beschäftigt sich somit mit den grundlegenden Aspekten gestalterischen Arbeitens, insbesondere mit den künstlerischen Strategien und nach wie vor aktuellen Fragen der Moderne.